Man sieht so schlecht unter die Wasseroberfläche

Das Dilemma unserer Meere
Beitrag von WWF Österreich

Ein Blick aufs Meer ist mit nichts zu vergleichen. Die ruhige, scheinbar unendliche Weite und gleichzeitig die unglaubliche, in großen Teilen noch unbekannte Vielfalt im und rund ums Meer helfen beim Betrachten ganz von selbst, eine Position einzunehmen, um sich mit größeren Zusammenhängen zu beschäftigen.

Ökosysteme von herausragender Bedeutung
Tatsächlich sind die Ozeane eines der wichtigsten Ökosysteme unseres Planeten, und auch für die Lebensbedingungen menschlicher Gesellschaften von herausragender Bedeutung. Sie produzieren 50 % unseres Sauerstoffs und binden enorme Mengen von Kohlendioxid: Etwa ein Drittel des von uns Menschen produzierten Kohlendioxids wird von den Meeren aufgenommen. Sie sind damit wichtige Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel. Die Ozeane absorbieren Wärme, verteilen diese um den Globus und dominieren damit die weltweiten Wettersysteme. Sie bedecken 71 % unseres Planeten und bieten 95 % der Flächen, auf denen Leben existiert.

Unter Wasser
Was sich unter der Wasseroberfläche abspielt, bleibt oft im Verborgenen. Dort tummeln sich wundersame, exotische Lebewesen in idyllischen Unterwasserlandschaften. Die marine Artenvielfalt ist herausragend: Das Leben auf der Erde ist in den Meeren entstanden, und die Meeresbewohner hatten damit hunderte Millionen Jahre mehr Zeit als landlebende Organismen, um vielfältigste Ausprägungen und gegenseitige Anpassungen zu entwickeln. Dennoch gehen wir Menschen sorglos mit dieser Vielfalt um - als wären die Ressourcen der Ozeane unerschöpflich, als würden Verschmutzungen in ihrer Weite einfach verschwinden und als würden ihre wundersamen Bewohner durch all das nicht negativ beeinflusst werden. Bilder von wunderschönen, lebendigen Korallenriffen und Bilder von toten Delfinen als Beifang – beide erzählen uns auf drastisch unterschiedliche Weise von dem, was in den Ozeanen passiert.

Das „SDG 14-Leben unter Wasser“ steht damit auf ganz besondere Weise für die Universalität der Ziele für Nachhaltige Entwicklung und die oft verborgenen Verbindungen und globalen Wechselwirkungen, die dieses Zielsystem so sehr betont. Die SDGs - und auch das SDG14! - gelten in ihrer Gesamtheit für alle Länder, und sind für alle von Relevanz - ob diese nun am Meer liegen oder nicht! Mittlerweile ist das Schicksal unserer Weltmeere massiv von menschlichen Entscheidungen abhängig. Der Erhalt der Meeresgesundheit sollte uns allen ein großes Anliegen sein, da nur intakte Meere jene Dinge liefern, die wir täglich zum Leben brauchen.

Bedeutung der Ozeane für den Menschen
Neben den oben genannten Ökosystemleistungen zählen Fisch und Meeresfrüchte zu den meistgehandelten Lebensmitteln weltweit. Über 800 Millionen Menschen leben vom Fang, von der Produktion, der Verarbeitung und dem Verkauf von Fischen und Meeresfrüchten. In vielen Entwicklungsländern stellt die Fischerei die Lebensgrundlage für einen großen Teil der Bevölkerung dar. Diese Bevölkerungsgruppen sind besonders abhängig von der Fischerei als Wirtschaftszweig - und dementsprechend schwer von Veränderungen betroffen. Mehr als 50% der in die EU importierten Fische und Meeresfrüchte kommen aus Entwicklungsländern. Die Länder des globalen Südens liefern einen Großteil des weltweiten Fang- und Produktionsvolumens und stellen 97 % der Arbeitskräfte im Bereich Fischerei. Die gewaltige Mehrheit von 90 % sind dabei nicht etwa Mitarbeiter der großen Fangflotten, sondern kleingewerbliche Fischer. Für sie ist Fisch sowohl Einkommensgrundlage, als auch ein wichtiger Bestandteil der täglichen Ernährung.

Schutzzustand der Meere
Trotz ihrer herausragenden Bedeutung  sind bis heute lediglich rund 6 % der weltweiten Meeresfläche geschützt. Nach wie vor existieren kaum global kohärente Regelungen zum schonenden Umgang mit Meeren und den Ressourcen, die sie in sich bergen. Im Gegenteil: Der Druck auf die Meere steigt durch den Einfluss des Menschen stetig! Unkoordinierte Aktivitäten der Fischereiwirtschaft - in ihren negativen Auswirkungen oft weit unterschätzt - gefährden die Meeresumwelt und die Ökosystemleistungen der Ozeane. Auch Hochseeschifffahrt und Abfälle aller Art, jedoch insbesondere Kunststoffabfälle, belasten die Meere und stellen oft sogar eine tödliche Bedrohung für ihre zahlreichen Bewohner dar. Aber auch Katastrophen wie die um den in Brand geratenen und gesunkenen Öltanker „Sanchi“ (die sich in eine ganze Reihe von Ölkatastrophen einreiht) führen uns drastisch die Sorg- und Respektloskeit des Menschen gegenüber den Meeren vor Augen.

Vielfalt statt Einfalt: Ein neues Bewusstsein für einen nachhaltigen Umgang mit den Meeren
Glücklicherweise entwickelt sich bei vielen Regierungen in den unterschiedlichsten Ländern heute ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer integrierten, fairen und wissenschaftlich fundierten Nutzung von marinen Ressourcen. Wir beginnen zu verstehen, dass auch wir Menschen über vielfältige Zusammenhänge integraler Teil des marinen Ökosystems sind. Der Einfluss der Menschen ist groß: Daher muss bei jeglichem Eingriff die Balance zwischen den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit - die ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit - stets mitgedacht werden und fester Bestandteil bei Entscheidungen in Politik und Wirtschaft sein.

Unsere Sichtweise gegenüber den Meeren muss dringend verändert werden. Die Nutzung der Ressourcen mariner Ökosysteme sollte sich an Ernährungssicherheit, gerechter Einkommensverteilung und politischer Stabilität orientieren. Dabei sind eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen und der Schutz, die Erhaltung sowie die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt unerlässlich, um die Produktivität und die Ökosystemleistungen der Meere auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Artenvielfalt ist ein besonders wichtiger Faktor für die Resilienz eines Systems – erst durch die Vielfalt erlangt ein Ökosystem seine Widerstandsfähigkeit gegenüber unterschiedlichster Einwirkungen.

Möglichkeiten für einen schonenden Umgang mit den Meeren
Der Einsatz von erneuerbaren Energien und die Verstärkung von Kreislaufwirtschaft, bei der die eingesetzten Rohstoffe über den Lebenszyklus des Produktes hinaus zurück in den Produktionsprozess geführt werden, stellt einen gangbaren Weg für einen schonenden Umgang mit marinen Ökosystemen dar. Die wirtschaftliche Nutzung der Meere muss sich dabei jedenfalls auf ein Maß beschränken, das zur ökonomischen und sozialen Stabilität beiträgt, und innerhalb der Belastungsgrenzen unseres Planeten bleiben. Besonders Industrieländer müssen sich – bedingt durch ihren hohen Ressourcenverbrauch - verstärkt ihrer Verantwortung für den Schutz der Meere bewusst werden, auch wenn die Produktionsländer von marinen Ressourcen in vielen Fällen dem globalen Süden angehören.

Was wir zum Schutz der Meere beitragen können
Soweit die Theorie - aber was kann jede oder jeder einzelne hier in Österreich für die Meere und faire Arbeitsbedingungen für jene, die mit Fischerei ihren Lebensunterhalt bestreiten, tun?

Der kürzeste Weg zum Meer liegt in einem Binnenland in den täglichen Konsumentscheidungen. Indem wir uns eingehend über die Herkunft und Produktion unserer Nahrungsmittel aus dem Meer informieren, können wir entsprechend bewusstere, umweltschonendere und sozial verträglichere Kaufentscheidungen treffen.

Das Herkunftsland ist die erste wichtige Information und auf den meisten Verpackungen von Fischen und Meeresfrüchten angeführt. Der gebackene Fisch mit Kartoffelsalat beispielsweise, der in Wien gerne auf der Tageskarte steht, ist höchstwahrscheinlich ein paniertes Pangasiusfilet, importiert aus Vietnam. Und die Calamari fritti im Urlaubsort an der Adria wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Gewässern rund um Südamerika gefischt.  Die Herkunft allein sagt natürlich noch nichts darüber aus, ob die Fische nachhaltig gefangen oder verantwortungsvoll gezüchtet wurden, aber es ist schon erstaunlich aus wie vielen Herkunftsländern wir mittlerweile Fische und Meeresfrüchte importieren. Aber auch im Frischfischbereich können sich Konsumentinnen und Konsumenten mittlerweile gut über die Herkunft der Produkte informieren, probieren sie  selbst an Frischetheken zu fragen, woher der Fisch kommt. Sie werden zu interessanten Ergebnissen kommen.

Der zweite Schritt besteht nun darin, sich bewusst für nachhaltig gefangenen oder nachhaltig gezüchteten Fisch zu entscheiden, um durch die individuelle Kaufentscheidung einen positiven Beitrag zum Schutz der Meere und zur nachhaltigen Entwicklung in den Produktionsländern zu leisten. Eine gute Entscheidungshilfe bietet hier der WWF Fischratgeber.
Hier kommt auch dem Einzelhandel und der verarbeitenden Industrie eine besondere Bedeutung zu. Es muss viel mehr nachhaltiger Fisch angeboten werden, und diese Produkte sind so zu kennzeichnen, dass die Herkunft und ihre nachhaltige Produktionsweise nachvollziehbar und vertrauenswürdig sind.

Die Politik ist gefordert – auch hier in Österreich!
Natürlich ist auch die Politik besonders gefordert. Erst vor wenigen Tagen haben sich der WWF und mehrere andere Mitgliedsorganisationen von SDG-Watch Austria (unter anderem die Dreikönigsaktion, die Koordinationsstelle der österreichischen Bischofskonferenz und ÖKOBÜRO) gemeinsam mit 34 weiteren europäischen Organisationen in einem Brief an die Mitglieder des EU-Parlaments gewandt, um sie aufzufordern, FÜR eine nachhaltige Fischerei und den adäquaten Schutz von Meeresökosystemen zu stimmen! Die Bilanz der Abstimmung fällt gemischt aus. Positiv ist, dass das Europäische Parlament gegen das umstrittene Elektrofischen gestimmt hat, andererseits hat sich das EU-Parlament gegen konkrete Zielvorgaben und Fristen zur Verringerung von Jungfischbeifang ausgesprochen. Die EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 bietet besonders gute Möglichkeiten für Österreich, Verantwortung zu übernehmen und sich in der EU für die Meere und ihre Bewohner stark zu machen!

Verantwortung für das SDG 14 – auch in Österreich!
Auch ein Binnenland wie Österreich steht in der Verantwortung für den Zustand und die Erhaltung der Ozeane. Die Menschen hier konsumieren Fisch und Meeresfrüchte, nutzen fossile Treibstoffe, fahren auf Reisen und kaufen importierte, von weither transportierte Waren. Die landläufig hin und wieder auftauchende Behauptung, das SDG 14 sei für ein Land ohne Küste nicht relevant, kann daher nur von Personen vertreten werden, die vor der gesellschaftlichen Realität und den globalen Zusammenhängen hartnäckig die Augen verschließen.

 

Der WWF (World Wide Fund for Nature) ist eine der größten Natur- und Umweltschutzorganisationen. Der WWF ist mit Büros in 80 Ländern weltweit vertreten und realisiert in insgesamt 150 Ländern Artenschutzprojekte.
Der Verein setzt sich für Umwelt, Tiere & Menschen ein und macht sich damit für eine Zukunft stark, in der Mensch und Natur im Einklang leben. In seiner Arbeit engagiert sich der WWF für den Erhalt der Biodiversität, nachhaltige Ressourcennutzung, den Schutz der Umwelt und nachhaltige Konsumstrukturen.

BILD: (c) Juergen Freund

Weiterlesen:
WWF Fischratgeber
http://www.fishforward.eu/at/
WWF Österreich

Sie lasen einen Blogbeitrag einer Mitgliedsorganisation von SDG-WATCH Austria. Die darin enthaltenen Meinungen sind keine Positionen von SDG-WATCH Austria oder von ÖKOBÜRO als Medieninhaber.