Was Menstruationshygiene mit Klimaschutz und Stromversorgung mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun haben.
Beitrag von Annelies Vilim - AG Globale Verantwortung
Die in der Agenda 2030 enthaltenen 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals oder SDGs) sind unteilbar und müssen in Einklang mit den in der Agenda 2030 beschriebenen Prinzipien verfolgt werden. Nur dann werden sie zu einem guten Leben für alle führen. So weit die Theorie. In der Praxis ist nicht immer augenscheinlich, wie die einzelnen SDGs miteinander in Verbindung stehen. Zwei Beispiele aus Indien und Mali verdeutlichen, wie es geht.
Weltweit lebt mehr als eine Milliarde Menschen ohne Strom. Dabei ist der Zugang zu Energie ein wesentlicher Faktor, um Hunger und Armut zu beseitigen (SDG 2 und SDG 1): Strom wird zur Herstellung und Konservierung von Lebensmitteln benötigt, treibt Maschinen an und ermöglicht Beleuchtung. Elektrische Herde ersetzen Kochstellen mit offenem Feuer, was v. a. Frauen vor dem Einatmen von gesundheitsschädlichen Rußpartikeln bewahrt (SDG 3 – Gesundheit und Wohlergehen), und die CO2 -Emissionen werden reduziert, weil nicht mehr Holz und Kerosin verbrannt werden (SDG 13 – Maßnahmen zum Klimaschutz).
Energie für Frauenförderung
Das barefoot college1 in Indien bildet Frauen aus entlegenen ländlichen Gegenden zu Solartechnikerinnen aus. In dem Kurs bauen sie selber Photovoltaikanlagen, die sie in ihren Dörfern installieren. Als Teilnehmerinnen werden bewusst ältere Frauen ausgewählt. Viele von ihnen sind Analphabetinnen, denn die traditionelle Rolle von Frauen in Indien ist es, für die Familie zu sorgen.
Im Gegensatz zu jungen Männern, die mit einer Ausbildung lieber ihr Glück in den größeren Städten versuchen, bleiben Frauen im Dorf. Dieser Umstand garantiert gleichzeitig den nachhaltigen Betrieb der Photovoltaikanlagen. Obwohl das Projekt traditionelle Rollenbilder also nicht direkt aufgreift, trägt es dennoch auch zum SDG 5 – Geschlechtergleichstellung – bei. Die Frauen werden Vorbilder in der Dorfgemeinschaft.
Eine Teilnehmerin erzählte, dass ihr Ansehen im Dorf stark gestiegen ist, seit sie Solartechnikerin ist, und dass sie darüber hinaus nun mithilfe eines Kühlschranks ein bisschen Geld durch den Verkauf von selbstgemachten gekühlten Getränken und Speisen verdient (SDG 8 – menschenwürdige Arbeit und wirtschaftliches Wachstum). Das wirkt sich indirekt auch auf die Gesundheit der Familie aus (SDG 3 – Gesundheit und Wohlergehen), weil Medikamente gekühlt aufbewahrt werden können. Durch den Zugang zu Strom können Kinder nach Einbruch der Dunkelheit noch Hausaufgaben machen (SDG 4 – hochwertige Bildung), Getreidemühlen können elektrisch betrieben werden und erleichtern die Arbeit.
Auch wenn, wie schon erwähnt, die traditionellen Geschlechterrollen nicht direkt in Frage gestellt werden, zeigt sich, dass höhere ökonomische Unabhängigkeit von Frauen mittelfristig zur Geschlechtergleichstellung (SDG 5) beiträgt. Eine weitere Teilnehmerin drückte es so aus: „Meine Generation konnte noch nicht für die Schule lernen, weil es in meinem Dorf keinen Strom gab, aber meine Kinder können jetzt lernen, weil sie Licht haben.“ Saubere Energie in Dörfer zu bringen (SDG 7 – bezahlbare und saubere Energie), hat eben auch Auswirkungen auf die Lebensqualität aller Menschen (SDG 1 – keine Armut).
#nomorelimits2
Weniger als ein Viertel der Bevölkerung in den ländlichen Gebieten in Mali hat Zugang zu angemessener Sanitärversorgung, d. h. sichere Latrinen und die Möglichkeit, sich mit Seife zu waschen (SDG 6 – sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen). Weibliche Genitalverstümmelung ist im Süden des Landes noch immer gängige Praxis. Viele betroffene Frauen leiden wegen der mangelnden Hygienemöglichkeiten an Infektionen (SDG 3 – Gesundheit und Wohlergehen, SDG 5 – Gleichstellung der Geschlechter).
Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Frauenrechtsorganisation CAFO3 engagieren sich für adäquate geschlechtergerechte und inklusive Trinkwasser- und Sanitärversorgung. Sie sensibilisieren beispielsweise die lokalen Behörden für die Bedürfnisse spezifi scher Zielgruppen (SDG 17 – Partnerschaften zur Erreichung der Ziele) und machen konkrete Lösungsvorschläge.
Über Menstruationshygiene zu sprechen ist in Mali noch immer ein Tabu, auch innerhalb der Familie. „Wenn Mädchen ihre Periode haben, versäumen sie oftmals mehrere Tage den Schulunterricht, weil viele Schulen keine Latrinen haben oder die Türen fehlen oder die Möglichkeit, sich zu waschen, und weil es keine Hygieneartikel gibt“, erzählt Selly Ouane, Aktivistin bei CAFO.
Bei ihren Besuchen in den Dörfern stellt sie oft eine Idee der nationalen Organisation CN-CIEPA/WASH4 vor: Schneiderinnen lernen, waschbare Binden herzustellen, indem sie Stoffreste verarbeiten (Müllvermeidung – SDG 13 – Klimaschutz). Und sie erzielen damit ein eigenes Einkommen (SDG 8 – menschenwürdige Arbeit, SDG 12 – nachhaltiger Konsum und Produktion). Als Gegenleistung für die Ausbildung nähen sie Bindenpaketefür Schülerinnen, womit der Schulverbleib von Mädchen gefördert wird (SDG 4 – hochwertige Bildung). Die Frauen in ländlichen Gebieten sind mit besseren Hygieneartikeln versorgt, und eine Enttabuisierung des Themas Menstruation wird durch die öffentliche Debatte angestoßen (SDG 5 – Geschlechtergleichstellung).
Ganz im Sinne der Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen sind dabei die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit berücksichtigt: Das Projekt hat eine positive soziale Wirkung für die Mädchen und Frauen; es hat eine ökonomische Dimension, indem Arbeit und Einkommen geschaffen werden; und es ist ökologisch nachhaltig, weil Materialien recycelt werden und die waschbaren Binden wiederverwendbar sind.
Anmerkungen:
1 Barefoot College: www. barefootcollege.org
2 #NoMoreLimits ist der Hashtag der Kampagne anlässlich des World Menstrual Hygiene Day (29. Mai) 2018, http://menstrualhygieneday.org/
3 CAFO: Coordination des Associations et Organisations Féminines
4 CAFO ist Mitglied im Dachverband der zivilgesellschaftlichen Organisationen für Wasser- und Sanitärversorgung in Mali (CN-CIEPA/WASH), www.cn-ciepa.org
Zur Autorin: Annelies Vilim ist Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung – Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und humanitäre Hilfe (www.globaleverantwortung.at). Die im Artikel beschriebenen Beispiele wurden im Rahmen des Projekts SDG Initiative 2018 recherchiert.
Der Artikel ist im Magazin Frauen*Solidarität Nr. 146 (Februar 2019) erschienen.
TITELBILD: B. Mayerhofer
Sie lasen einen Blogbeitrag der AG Globalen Verantwortung. Die darin enthaltenen Meinungen sind keine Positionen von SDG Watch Austria oder von ÖKOBÜRO als Medieninhaber.
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