Wie weit ist Europa bei der Umsetzung der SDGs?

Organisationen der Zivilgesellschaft bewerten den Fortschritt in einem neuen Fokusbericht, der auf dem HLPF 2023 in New York vorgestellt wurde

Die EU kann transformative Gesetze verabschieden und verfügt über die notwendigen Ressourcen, um den Übergang zu sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit voranzutreiben. Aber kann sie diese Herausforderung auch bewältigen?

Ein neuer zivilgesellschaftlicher Fokusbericht, der von den Mitgliedern von SDG Watch Europe im Rahmen des Projekts „Real Deal“ erstellt wurde, erklärt, warum die SDG-Berichterstattung der EU eine Illusion von Nachhaltigkeit schafft und weist auf ernsthafte Lücken und Herausforderungen bei der Umsetzung der SDGs hin.

Darüber hinaus enthält der Bericht konkrete politische Vorschläge, um die SDGs mit echten Geschichten zum Leben zu erwecken, sowie wichtige Empfehlungen, die die EU mit ein wenig politischem Willen leicht umsetzen kann, um den notwendigen Wandel herbeizuführen.

Das Ziel des Fokusberichts ist es:

  • die noch bestehenden Lücken bei der Umsetzung der SDGs und der Agenda 2030 der Vereinten Nationen zu analysieren
  • zu identifizieren, wo die Schwächen Europas liegen und wo eine Abkopplung von anderen relevanten Prozessen stattfindet, und sich darüber auszutauschen, wie diese Probleme angegangen und die SDG-Umsetzung gestärkt werden können.

Die Zusammenarbeit der an diesem Bericht beteiligten Organisationen der Zivilgesellschaft zeigt ihr Engagement für evidenzbasierte Information und Transparenz in Europa. Diese Grundsätze sind wesentlich für die Ausrichtung der Politik und die Förderung der demokratischen und partizipativen Kultur, die wir als zivilgesellschaftliche Organisationen schätzen und die für uns Teil der der künftigen Politikgestaltung Europas sein sollten.

Der Bericht umfasst fünf verschiedene Kapitel, die die folgenden fünf „P’s“ der SDGs für den sozialen, ökologischen und politischen Wandel widerspiegeln. Jedes Kapitel enthält Empfehlungen für die politischen Entscheidungsträger:innen der EU.

People (Wohlergehen aller Menschen): Unser derzeitiges Wirtschaftssystem strebt nach ständigem Wachstum und wiederkehrende Wirtschaftskrisen werden zu einem wesentlichen strukturellen Merkmal, das unsägliches Leid für Millionen von Menschen mit sich bringt. Unser System lebt von endlosem Profit, Ressourcenabbau, Produktion und Verbrauch, was zu grobem Überkonsum, Umweltzerstörung und Ungleichheit führt. Daher schlagen die zivilgesellschaftlichen Organisationen vor, sich auf eine übergreifende Strategie für die SDGs, eine verstärkte Zusammenarbeit und Koordinierung in der Sozialpolitik, gezielte Maßnahmen und Initiativen zur Bekämpfung von Armut und Ungleichheit sowie eine bessere Datenerfassung zu konzentrieren.

Prosperity (Nachhaltiger Wohlstand und Fortschritt): Für die Gewährleistung nachhaltiger öffentlicher Finanzen, muss das Steuersystem verbessert werden, um es gerechter und progressiver zu machen. Gleichzeitig sollte die Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung in Europa (Economic Governance Review) starke Anreize für die Mitgliedstaaten schaffen, die notwendigen Reformen durchzuführen. Die öffentlichen Investitionen müssen zudem erhöht werden, um die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen zu bewältigen und gleichzeitig einen gerechten Übergang für alle und mit allen zu gewährleisten. Zu den wichtigsten Ideen in diesem Kapitel gehören die schrittweise Reform des Europäischen Semesters, neue Indikatoren für das Wohlergehen und der Blick über das BIP hinaus.

Planet (Schutz der Erde): Die Europäische Union muss entschiedene Maßnahmen ergreifen, um den Klimawandel zu bekämpfen, eine nachhaltige Entwicklung zu fördern und das soziale Wohlergehen zu verbessern. Um dies zu erreichen, sollte die EU eine mutige politische Vision annehmen, die ehrgeizige Ziele, strengere Vorschriften und innovative Ansätze zur Messung des Fortschritts und zur Förderung der Nachhaltigkeit umfasst. Zu den wichtigsten Vorschlägen der zivilgesellschaftlichen Organisationen zählen ein EU-weites Ziel für die Verringerung des materiellen Fußabdrucks, die Erhöhung des Ziels der EU, die innereuropäischen Treibhausgasemissionen bis 2030, um mindestens 65 % zu senken, sowie weitere verbindliche Ziele für erneuerbare Energien und Emissionssenkungen.

Peace (Frieden): Wir brauchen eine neue Vision für die Rolle der EU in der Welt: Eine Vision, die auf Menschrechten für Frieden basiert und die SDGs sowie die globalen Klima- und Biodiversitätsvereinbarungen real und erreichbar machen kann. Die EU muss in ihrem Bestreben, nachhaltige Entwicklung zu verfechten und die Menschenrechte zu verteidigen – wie es auch in ihren Verträgen als kultureller Wert festgehalten ist – einen grundlegenden wirtschaftlichen Systemwandel herbeiführen und den Gesellschaftsvertrag erneuern, um eine friedliche und inklusive Gesellschaft zu gewährleisten. Zu den wichtigsten Empfehlungen gehören das Mainstreaming menschenrechtsbasierter Ansätze bei Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsmaßnahmen, das Verhindern einer weiteren Einschränkung zivilgesellschaftlicher Beteiligung („shrinking civic space“) und der Schutz unserer Demokratien sowie Korruptionsbekämpfung durch das Schließen von Steuerschlupflöchern und intensivere Bemühungen gegen Steuerflucht.

Partnerships (Kooperationen): Die EU muss einen stärkeren Kapazitätsaufbau unterstützen und sich für die Erneuerung der internationalen Zusammenarbeit und den Aufbau von Vertrauen für das globale Gemeinwohl einsetzen. Angesichts der enormen Verschiebungen internationaler Beziehungen und der Bedrohungen für die multilaterale Zusammenarbeit sollte ein größerer Schwerpunkt auf das Lernen voneinander bzw. durch den Vergleich politischer Maßnahmen gelegt werden (sog. Policy Learning). Dazu sollten Erkenntnisse   der ersten sieben Jahre der SDG-Umsetzung berücksichtigt werden. Angesichts der Diskrepanz zwischen der Bewertung der SDG-Umsetzung, die die EU in ihrem Freiwilligen Umsetzungsbericht darlegt, und den Berichten unabhängiger Wissenschaftler: innen, Analyst:innen und der Zivilgesellschaft sollte die EU erwägen, für ihr Monitoring und ihre Evaluierung Daten und Analysen aus verschiedenen Quellen zu verwenden. Zu den wichtigsten Ideen aus dem Fokusbericht gehören eine Garantie, dass Handelsabkommen die sozialen und ökologischen Auswirkungen nicht in andere Länder verlagern; verbesserte Mechanismen für  strukturierten Dialog und die finanzielle Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen;   ebenso wie  eine stärkere Integration der SDGs in das EU-Instrumentarium  für bessere Rechtssetzung („Better Regulation toolbox“).

Darüber hinaus enthält der Bericht sechs übergreifende Botschaften der Zivilgesellschaft an die politischen EU-Entscheidungsträger:innen zur Umsetzung der SDGs.

Zentrale Empfehlungen für politische Entscheidungsträger

  1. Übergreifende Strategie: Eine EU-Strategien für die SDGs einführen
  2. Wirtschaft des Wohlergehens (Wellbeing Economy): Ersetzen des BIP durch Indikatoren für das Wohlergehen
  3. Im Rahmen unserer Möglichkeiten leben: Den materiellen Fußabdruck Europas verkleinern
  4. Soziale Gerechtigkeit: Niemanden zurücklassen, indem wir der Umverteilung Vorrang einräumen
  5. Auf dem richtigen Weg bleiben: Verbesserung des EU-Monitorings der strukturellen und systematischen Lücken
  6. Mit gutem Beispiel vorangehen: Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung sicherstellen
     

Der vollständige Bericht auf Englisch ist online verfügbar (zum Herunterladen hier klicken).

Kontakt: Jeffrey Moxom; jeffrey.moxom@eeb.org

Sie lasen einen Gastbeitrag auf unserem Blog. Die darin enthaltenen Meinungen sind keine Positionen von SDG Watch Austria oder von ÖKOBÜRO als Medieninhaber.

Mehr zum Thema