Meilenstein: Vereinte Nationen nehmen Tierschutz erstmals in ihre Nachhaltigkeits-Ziele auf

Wieso die neu beschlossene Tierschutzresolution eine Trendwende beim Umgang mit globalen Herausforderungen einläutet und weshalb Tierschutz ein zentrales Element zum Erreichen der 17 UN-Ziele für Nachhaltige Entwicklung ist, erklärt Eva Rosenberg (Länderchefin VIER PFOTEN Österreich) in diesem Artikel für SDG Watch Austria. 

In zwei Jahren Pandemie haben wir alle die schmerzhafte Erfahrung machen müssen, dass die Ausbeutung von Tieren praktisch die ganze Welt lahmlegen kann. Nach wie vor ist ja die wahrscheinlichste Ursache für Covid-19 das Überspringen eines Virus von einem Tier auf den Menschen, wie auch bei früheren Zoonosen wie Tollwut, Ebola, HIV oder Malaria. So ist nur allzu deutlich geworden, dass wir die Entstehung von Zoonosen befeuern, solange wir in den Lebensraum von Tieren eindringen und diesen mit all seiner Biodiversität und seinen Kreisläufen zerstören. 

Ein weiteres Beispiel dafür, welche Auswirkung unser Umgang mit den Tieren für uns Menschen hat, ist die Klimakrise. Wie wir Tiere zur Lebensmittelproduktion halten und welchen Nahrungsgewohnheiten wir folgen, beeinflusst nicht wenige der insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Umso erstaunlicher war es, dass die UN bis vor kurzem den Tierschutz in keinerlei expliziter Verbindung mit ihren Zielen gesetzt hat. 

Nexus Resolution verknüpft Tierwohl, Menschen und Ökosysteme 

Daher kann die jüngste Entschließung der UNEA, der Umweltversammlung der Vereinten Nationen, nur als bahnbrechend bezeichnet werden: Anfang März wurde mit überwältigender Mehrheit eine Tierschutz-Resolution beschlossen. Die so genannte „Nexus Resolution“ legt den Fokus auf die Sustainable Development Goals der UN und hält dabei auch den Einfluss von Tierwohl auf Menschen und Ökosysteme fest. 

VIER PFOTEN hatte bei dieser Versammlung Beobachterstatus und war vor Ort vertreten. Wir können ohne Übertreibung sagen, dass es ein historischer Moment für die Tierschutzbewegung war. Denn er markiert den Beginn eines neuen Zeitalters. Der Beschluss der Tierschutz-Resolution führt dazu, dass der Zusammenhang zwischen Tieren und der öffentlichen Gesundheit endlich ins Rampenlicht gerückt und damit auch gleichzeitig die Klimakrise bekämpft wird. Viele Partner der „World Federation for Animals“ (WFA), bei der auch VIER PFOTEN Mitglied ist, haben auf dieses wichtige Ziel zugearbeitet.

Aber natürlich: Das ist erst der Anfang. Die Ausbeutung und Misshandlung von so genannten Nutztieren in Industriefarmen ist nicht nur eine Katastrophe in den Augen des Tierschutzes, sondern auch einer der größten Verursacher von Verschmutzung, Klimawandel und Biodiversitätsverlust. Und das Schlimmste: Uns droht die Zeit davonzulaufen. Aber der Beschluss dieser Resolution zeigt uns zumindest eine politische Trendwende im Umgang mit den größten globalen Herausforderungen unserer Zeit.

Tierschutz und „One Health“ für die Gesundheit aller

Die Ausbeutung von Tieren fällt uns genauso auf den Kopf wie die Ausbeutung von Umwelt und Mitmenschen. Daher ist der Schlüssel zur Verhinderung künftiger Pandemien nicht etwa schlichte Symptombekämpfung, sondern ein echter Paradigmenwechsel hin zu mehr Tierwohl und Prävention - im Sinne eines „One Health“ Ansatzes.

Nicht nur Wildtierhandel oder das Vordringen in Lebensräume von Wildtieren sind Auslöser und Treiber für Zoonosen und anderen Krankheiten, sondern auch die Massentierhaltung: Wo Lebewesen auf engstem Raum gehalten werden, keine genetische Vielfalt herrscht und das Immunsystem aufgrund von angegriffener Gesundheit und Stress angeschlagen ist, sind diese deutlich anfälliger für Krankheiten. Abgesehen vom damit verbundenen Tierleid, können Krankheitserreger dann von Spezies zu Spezies leichter überspringen. 

Ganz zu schweigen vom riesigen Problem der Antibiotika-Resistenz: Wird in einem Stall ein Tier durch ein Bakterium krank, müssen normalerweise präventiv alle Tiere – egal, wie viele – mit Antibiotika versorgt werden. Selbstverständlich fördert das die Resistenzen enorm. Ebenso fatal: Je schlechter Tiere gehalten werden, umso größere Mengen an Antibiotika werden gebraucht. Davon betroffen sind wir freilich alle: Laut WHO könnten bis zum Jahr 2050 antimikrobielle Resistenzen für 10 Millionen Todesfälle pro Jahr verantwortlich sein, sofern keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Die Intensivtierhaltung, die für mehr als 70 Prozent des weltweiten Einsatzes von Antibiotika verantwortlich ist, treibt diese „stille Pandemie“ voran.

Treibhausgase, Ressourcenverbrauch und Verschmutzung durch Intensivtierhaltung

Welches Ausmaß an Umwelt-Zerstörung die intensive Tierhaltung anrichtet, wird durch diese Zahlen deutlich: Wir sprechen weltweit von jährlich 88 Milliarden so genannten Nutztieren, die für den menschlichen Verkehr gezüchtet und geschlachtet werden. Eine unvorstellbare Zahl. 16,5 % der globalen Treibhausgasemissionen gehen direkt auf die Nutztierhaltung zurück. Es ist absurd, dass bei der Herstellung eines einzigen Burgers so viel Treibhausgase wie bei einer Autofahrt von über 500 Kilometern entstehen. Ebenso schockierend: 77 % der weltweiten Agrarfläche dienen der Produktion von Futtermitteln und/oder als Weidefläche – mit all ihren irreparablen Schäden wie Rodung von Regenwäldern, Verschmutzung des Grundwassers und Gülleseen. Die Produktion eines einzigen Kilos konventionellen Rindfleischs erfordert etwa 15.000 Liter Wasser. Alle Nutztiere auf der Erde verbrauchen mehr Nahrung, als der Kalorienbedarf der gesamten menschlichen Bevölkerung auf der Erde ausmacht. 

Wir sehen: Der Ressourcenverbrauch, ob Land oder Wasser, ist enorm. Die Auswirkungen einer intensiven Tierhaltung auf die Gesundheit des Menschen sind ebenso gravierend. Und da haben wir noch gar nicht vom exzessiven Fleischkonsum gesprochen. Denn inzwischen ist jedem klar, dass der Fleischkonsum in der westlichen Welt nicht nur absurd hoch, sondern auch gesundheitsschädlich ist: Pro Kopf verdrücken wir etwa in Österreich 60,5 kg Fleisch im Jahr. Der Fonds Gesundes Österreich empfiehlt allerdings, nur maximal drei Mal pro Woche Fleisch zu essen. Würden wir uns daran halten, wäre der Konsum wohl ein Drittel davon. Es hilft nichts: Wir müssen aus diesem Fleisch-Koma endlich aufwachen, wollen wir nicht nur unsere Gesundheit, sondern auch das Klima retten. Der Mythos, dass wir nur mit Massentierhaltung die Menschheit ernähren können, ist hinlänglich widerlegt. Im Gegenteil: In der industrialisierten Welt essen wir uns am Fleisch zu Tode!

Tierwohl und Soziales gemeinsam denken

Schließlich die soziale Frage: Wenn Fleisch durch Verknappung bzw. sinkenden Konsum teurer wird – heißt das dann nicht, dass sich nur noch Reiche Fleisch leisten können? Und wie sieht es mit den Millionen Beschäftigten der Fleischindustrie aus? Enden sie durch den drohenden Verlust ihrer Arbeit in der Armutsfalle? 

Die Antwort ist klar: Es gibt letztendlich kein billiges Fleisch! Die langfristigen Kosten für die Ausbeutung von Tieren, Umwelt, Landwirt:innen und Gesundheit zahlen wir alle. Und von diesen Kosten werden gerade sozial Schwache am meisten betroffen sein. Zu den Arbeitsplätzen sei gesagt: Nichts ist so unsozial wie Billigfleisch. Dieses System garantiert, dass Arbeiter:innen in Schlachthöfen und Fabriken ausgebeutet, Landwirt:innen in ihrer Existenz bedroht werden. Es ist, im Gegenteil, genau umgekehrt: Ein Ende der Ausbeutung von Tieren und Natur geht Hand in Hand mit dem Kampf gegen Armut.

Wir sind daher aus tiefstem Herzen überzeugt: Mehr Tierschutz ist DER Gamechanger für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele. Ihn umzusetzen wird nicht immer leicht sein. Nicht weniger als ein kompletter Systemwandel in der Landwirtschaft und eine Umstellung unserer Ernährungsgewohnheiten werden dafür nötig sein. Er ist allerdings auch eine Garantie dafür, dass neben Tieren auch Menschen und Umwelt überleben. Das sollte es uns wert sein!

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