Naturräume erhalten und wiederherstellen
Die Biodiversität ist europaweit unter Druck. Laut Europäischem Parlament sind 80% der Ökosysteme der EU in schlechtem Zustand. Der Verlust der Lebensräume durch menschliche Eingriffe ist einer der wichtigsten Gründe für Artenrückgang und Artensterben. Beispiele wie weitläufig-monotone Landnutzungen, begradigte Flussläufe, naturferne Gewerbe- und Siedlungsgebiete oder Verkehrswege, die ganze Landschaften durchschneiden bringen die Natur unter Druck. Das Ergebnis – viele Arten sind bedroht.
„Biodiversität – die Vielfalt der lebendigen Natur - zählt zu unseren wichtigsten Lebensgrundlagen.“, so die Biologin Andrea Schnattinger, Umweltanwältin der Stadt Wien a.D. und Vizepräsidentin des Ökosozialen Forums Wien. Sie beschäftigt sich schon lange damit, wie wichtig Biodiversität und eine gesunde, intakte Natur für den Menschen sind. „Der Schutz und die Wiederherstellung der Natur sind Aufgaben, die uns alle betreffen. Auch wir Menschen sind Teil der Natur. Es wird Zeit, dass wir das begreifen und danach handeln.“, so Schnattinger. Für die Biologin ist klar, dass es intakte Naturräume braucht. Viele der Naturräume und der natürlichen Lebensgrundlagen sind bereits in einem schlechten Zustand – auch hier in Österreich. Es braucht Maßnahmen und einen anderen Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen, damit sich diese regenerieren können. Daher sieht sie dringenden Handlungsbedarf: „Renaturierung ist einerseits eine Notwendigkeit, vielmehr aber auch eine Chance mit vielen positiven Effekten, die weit über den Naturschutz hinausgehen. Sie bringt Menschen und Natur mehr gesunden, lebenswerten und zukunftsfähigen Lebensraum zurück.“, so Schnattinger.
Derzeit rückt die EU-Renaturierungsverordnung (EU Nature Restoration Law) in Österreich ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die “Verordnung zur Wiederherstellung der Natur” wurde auf europäischer Ebene erarbeitet, da mehr als 80% der Fläche der EU ökologisch in schlechtem Zustand sind. Bis 2030 sollen daher mindestens 20 % der Land- und Meeresfläche wiederhergestellt werden. Bis 2050 soll die Sanierung aller sanierungsbedürftigen Ökosysteme Schritt für Schritt fortgesetzt werden. Gemessen werden sollen solche Fortschritte beispielsweise an der Anzahl der Schmetterlinge oder den Humusgehalten von Böden.
Maßnahmen der Renaturierung bringen viele positive Effekte – nicht nur für die Natur, auch für die Menschen. Renaturierungsmaßnahmen können beispielsweise
- die Artenvielfalt fördern, Tieren und Pflanzen wichtigen Lebensraum geben.
- wertvolle Beiträge zu sicheren Ernten und Ernährungssicherheit leisten.
- zu Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen beitragen, indem die Verschmutzung reduziert und der Erholungswert der Natur erhalten und gesteigert wird. Denn artenreiche Grünräume sind nachweislich auch gesundheitsfördernd.
- die Qualität der heimischen Böden und damit auch die Qualität der heimischen Lebensmittel positiv beeinflussen.
- den zunehmenden Hochwasserrisiken entgegenwirken und die Anfälligkeit für Extremwetterereignisse und das Auftreten von Schädlingen mindern.
Laut Berechnungen der Europäischen Kommission werden sich die Renaturierungsbemühungen auch volkswirtschaftlich positiv auswirken. Mitunter sind auch positive Effekte auf landwirtschaftliche Erträge zu erwarten, da sich Bestäuberleistungen, Bodenqualität etc. verbessern. Für Österreich liegen im Schutz der Natur auch viele wertvolle Chancen. Einerseits beruht der Tourismus unseres Landes auf der Schönheit von Natur und Landschaft. Andererseits hat die österreichische Landwirtschaft mit ihrer langen Tradition und ihrem hohen Bio-Anteil ausgezeichnete Startbedingungen und wertvolle Erfahrungen an der Hand, um die österreichische Lebensmittelproduktion künftig noch stärker im Einklang mit der Natur zu entwickeln.
Österreich gefragt
Das Europäische Parlament hat im Februar sein klares “Ja” zur Renaturierung gegeben. Nun ist der Rat der Umweltminister:innen am Zug, der das Abkommen noch annehmen muss. Hier ergibt sich aktuell eine ungewöhnliche Situation: da Naturschutz in Österreich Landessache ist, kommen die österreichischen Landeshauptleute ins Spiel. Bislang hat sich Österreich bei den Abstimmungen in Brüssel enthalten. Nun aber kommt es auf unsere Stimme an!
Aus diesem Grund haben die Landeshauptleute Wiens und Kärntens einen wichtigen Vorstoß unternommen und dazu aufgerufen, die Verordnung anzunehmen. Auch von namhaften Organisationen wie Umweltdachverband, WWF und Naturschutzbund sowie von zahlreichen Wissenschafter:innen – unter anderem dem Biodiversitätsforscher und Wissenschafter des Jahres 2022 Franz Essl - kommen klare Appelle für die Wichtigkeit der Verordnung.
Ökosozial zu handeln – das bedeutet, an Herausforderungen gemeinsam heranzugehen, sie anzunehmen und in Chancen zu verwandeln. Renaturierung kann von diesem Standpunkt her also als weit mehr als eine Notwendigkeit – sie kann als eine Ökosoziale Win-Win-Win-Situation gesehen werden. Dass Handlungsbedarf besteht, ist anhand der Situation für Hans Sailer, Präsident des Ökosozialen Forums Wien, klar: „Angesichts einer Herausforderung wie der Biodiversitätskrise kann die ökosoziale Antwort nur sein, zusammenzuarbeiten und gemeinsam dem Artensterben und Lebensraumverlust entgegenzuwirken. Wir haben nur ein Österreich und es gilt, seine wunderschöne, wertvolle Natur für kommende Generationen zu schützen und zu erhalten.“ Für Sailer braucht es daher jetzt ein klares Ja Österreichs zur Renaturierung und ein Miteinander von Bund und Ländern, um diese europäische Chance zu nützen. „Die lange, erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Wien und Niederösterreich beispielsweise beim Biosphärenpark Wienerwald und beim Nationalpark Donau-Auen beweist, dass gemeinsame Naturschutzaktivitäten sehr erfolgreich sein können.“, so Sailer abschließend.
Weitere Informationen:
- EU-Parlament Pressedienst
- Position Stadt Wien
- Gemeinsame Stellungnahme der neun Umweltanwält:innen für ein starkes Renaturierungsgesetz
- Europäischer Rat zum Zustand der Natur
- Europäischer Rat zur Wiederherstellung der Natur
- Factsheets der Europäischen Kommission zu Biodiversität und zur Renaturierungsverordnung
- ORF Science Beitrag
Ökosoziales Forum Wien:
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