Nachhaltige Atomenergie? Ein kritischer Blick auf Narrative und Fakten

Am 10.09.2025 entschied das Gericht der Europäischen Union, dass Atomenergie unter bestimmten Bedingungen wesentlich zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel beitragen kann, und dass die Klage Österreichs gegen die Einbeziehung von Atomenergie in die Taxonomie daher abgewiesen wird1.

Diese Entscheidung kam nicht unerwartet, wenn man etwa an den derzeitigen Hype um die sogenannten SMR (Kleine Modulare Reaktoren) denkt. Aktivitäten, die in der Taxonomie als nachhaltig gelten, können bei Investitionen begünstigt werden. Die Aufnahme von Atomkraft in die Taxonomie hat obendrein hohe Symbolkraft. 

Aber auch abgesehen von den Streitigkeiten in der Taxonomie ist das Verhältnis von Nachhaltigkeit und Atomkraft kein ungetrübtes. 

Nachhaltigkeit ist vor allem in den letzten Jahren zu einem wichtigen Bestandteil der Nuklear-Narrative geworden. Der Begriff „nachhaltig“ taucht immer wieder in den Namen von Atomorganisationen und den Titeln von Konferenzen auf. Aber was ist mit „Nachhaltigkeit“ in diesem Zusammenhang gemeint? Und wie wird andererseits die Atomkraft in das System der Nachhaltigkeit einbezogen? Spiegeln die Verweise auf die Atomenergieerzeugung und die Entsorgung nuklearer Abfälle in den Schlüsseldokumenten der Nachhaltigkeitspolitik die Probleme und Herausforderungen in angemessener Weise wider? 

Ein neuer Bericht des Österreichischen Ökologie-Instituts untersucht diese Verhältnisse von Nachhaltigkeit und Atomenergie aus einer kritischen Perspektive:

Atomenergie im Nachhaltigkeitsdiskurs: Ein verschobenes Narrativ

Das Thema Atomenergie ist im Laufe der Jahrzehnte aus den Schlüsseldokumenten zur Nachhaltigkeit herausgefallen. Während es im Brundlandt-Bericht von 1987 ein ganzes Kapitel gab, das sich kritisch mit den Risiken der Atomenergie auseinandersetzte, konzentrierte sich die Agenda 21 von 1992 nur mehr auf Fragen der radioaktiven Abfälle. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) beziehen sich ausschließlich auf diese mehr als 30 Jahre alten Empfehlungen. Auch wenn die Taxonomie andere Zielsetzungen und einen anderen Stellenwert als diese Nachhaltigkeitspolitiken hat, so ist sie dennoch zu einem wichtigen Argument für die Atomlobby geworden, um Atomkraft als nachhaltig zu propagieren.

Im Mittelpunkt der Argumentation der Nuklearindustrie steht das Narrativ, dass die Atomkraft einerseits zur Verringerung der Treibhausgase (im Vergleich zu fossilen Brennstoffen) und andererseits zur Energiesicherheit – und damit zum wirtschaftlichen Wohlstand – beiträgt. 

Wichtige Gesetzestexte wie die Nukleare Sicherheitsrichtlinie 2014/87/Euratom und die Nukleare Abfallrichtlinie 2011/70/Euratom setzen keinen Bezug zur Nachhaltigkeit. Dies ist bezeichnend für die Distanz von Euratom zu Umweltdiskursen der EU. Organisationen wie die Internationale Atomenergieorganisation IAEO bemühen sich, den Beitrag von Atomenergie, Atomtechnologien und die Entsorgung radioaktiver Abfälle zu den SDGs zu definieren. Dies kann nur Stückwerk bleiben, da wichtige Aspekte wie die Folgen schwerer Unfälle nicht ausreichend berücksichtigt werden, wie die folgenden Punkte aufzeigen.

Risiken und ungelöste Probleme der Atomenergie

Atomanlagen bergen ein nicht zu vernachlässigendes Risiko schwerer Unfälle, wie die Geschichte zeigt. Das Risiko künftiger schwerer Unfälle steigt mit der Alterung der Reaktorflotte, mit der Verschärfung des Klimawandels und den daraus resultierenden extremen Wetterereignissen sowie mit zunehmenden Sicherheitsbedrohungen von Nuklearanlagen durch Terror- und Kriegshandlungen.

Die Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle ist in weiten Teilen noch nicht auf sichere Weise gelöst. Es gibt noch keine Endlager für hochradioaktive Abfälle, und manchmal müssen bereits in Endlagern entsorgte Abfälle wieder zurückgeholt werden (siehe Asse II in Deutschland). Auch die Bergung verrosteter Atommüllfässer, die ins Meer verkippt wurden, müsste dringend angegangen werden. Zwischenlager und Behälter, die nur für eine Lebensdauer von einigen Jahrzehnten ausgelegt waren, stehen nun vor einer Verlängerung ihrer Lebensdauer auf über hundert Jahre mit unbekannten Folgen. 

Hohe Kosten, lange Bauzeiten und Lock-in-Effekte

Die Finanzierung der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle ist nicht gesichert. Das Verursacherprinzip reicht nicht aus, um die immensen Kosten zu decken, sodass die Steuerzahler:innen über Generationen hinweg einspringen müssen – was eine unzumutbare Belastung für künftige Generationen darstellt, die möglicherweise keinen Strom mehr aus Atomenergie nutzen können, sich aber dennoch um die nuklearen Abfälle kümmern müssen.

Bei radioaktivem Material besteht ein ständiges Proliferationsrisiko, das in Zeiten von Krieg und globalen Krisen noch an Bedeutung gewinnt. Die Atomenergie ist zu einer sehr teuren Energieoption geworden, die ohne staatliche Beihilfen nicht mehr wettbewerbsfähig ist. 

Es dauert Jahrzehnte, bis ein neues Atomkraftwerk (AKW) in Betrieb genommen werden kann – das ist viel zu spät, um fossile Brennstoffe zu ersetzen; im Gegenteil, die sehr langen Bauzeiten neuer AKWs könnten zu einem längeren Betrieb fossiler Kraftwerke führen. 

Darüber hinaus kommt es durch Investitionen in die Atomenergie zu einem Lock-in-Effekt: Die Mittel, die für erneuerbare Energien, Energiespeicherung und Energieeffizienz benötigt würden, werden für Jahrzehnte an die Atomenergie gebunden sein. Atomenergie ist keine Übergangstechnologie. 

Zudem ist im Falle eines schweren Unfalls die Haftung nicht in ausreichendem Maße gedeckt. Letztendlich müssen die Steuerzahler:innen aufkommen, wenn sich ein weiterer Unfall ereignet.

AKWs und Kreislaufwirtschaft? 

Die Atomenergie ist kein „Best-in-Class”-Ansatz, auch wenn sie kohlenstoffarm ist. Denn der Uranabbau und seine Rückstände schaden der Umwelt an vielen Orten auf diesem Planeten erheblich. Die Atomlobby spricht gerne vom „Kernbrennstoffkreislauf“. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um eine Kernbrennstoffkette: Selbst wenn abgebrannte Brennelemente wiederaufbereitet werden können, werden sie letztendlich zu radioaktivem Abfall und müssen für bis zu einer Million Jahre endgelagert werden.

Die Umnutzung von AKW-Standorten nach ihrer Stilllegung und Abwrackung wird zunehmend als Argument für die Kreislaufwirtschaft ins Rennen gebracht. Dazu muss man sich aber vor Augen halten, dass von derzeit 213 stillgelegten AKW bislang erst 9 bis zur sogenannten „grünen Wiese“ abgewrackt wurden; es stellt sich die Frage, wie viele AKW-Standorte überhaupt wiederverwendet werden könnten.

Sichere Nuklearenergie für Umwelt und Klima?

AKWs haben einen hohen Wasserbedarf für die Kühlung. Dies kann in Dürrezeiten zu einem verstärkten Wettbewerb um Wasser führen. Zudem führt die Einleitung des Kühlwassers zu einer Erwärmung der Flüsse – manchmal über die Grenzen hinaus, die für die Wasserfauna und -flora noch akzeptabel sind (siehe Beispiel des AKW Paks in Ungarn, dessen Kühlwasser mit mehr als 30 °C in die Donau eingeleitet werden darf). Dies kann zu erheblichen Schäden für die biologische Vielfalt beitragen. Damit sind AKWs bei steigenden weltweiten Temperaturen und begrenzten Süßwasser-Ressourcen problematisch.  

Auch das Argument, dass Atomtechnologien Ländern, insbesondere Entwicklungsländern, in Umwelt- und Gesundheitsfragen helfen, macht diese Technologien nicht automatisch nachhaltig. Für ihre Herstellung (z. B. Isotopenproduktion, Quellen) werden ebenfalls Reaktoren benötigt, und es fallen Abfälle an, die entsorgt werden müssen und erhebliche Schäden verursachen können.

Ein grundlegendes Problem besteht darin, dass die Vorschriften zur nuklearen Sicherheit nicht ausreichend mit dem EU-Umweltrecht verknüpft sind. Daher kommen einige Grundsätze und Verfahren nicht zur Anwendung. Dies führt zu weniger Demokratie im Nuklearbereich, weniger Transparenz und weniger Beteiligung der Öffentlichkeit. 

Fazit 

Wenn man diese Risiken, Mängel und wirtschaftlichen Probleme der Kernenergie gegen ihren Beitrag zum Klimaschutz und zu den Nachhaltigkeitszielen abwägt, wird deutlich, dass die Nachteile schwerer wiegen. Die Kernenergie ist keine nachhaltige Technologie.

Es wäre hilfreich, wenn Nachhaltigkeitspolitiken wie die SDGs wieder mehr auf Atomkraft eingehen würden und ihre kritischen Ansätze des letzten Jahrhunderts auffrischen und fortführen. Gerade im Bereich der Entsorgung nuklearer Abfälle besteht hier Handlungsbedarf. Es ist fraglich, ob die derzeit vorherrschende Ansicht, dass ein „Vergraben und Vergessen“ der radioaktiven Abfälle in Tiefenlagern wirklich eine Belastung zukünftiger Generationen verringert, oder ob sich die Gefahr eher dadurch managen ließe, indem durch eine generationenübergreifende Stewardship-Kultur die Erinnerung an die Endlager erhalten wird.


1. Siehe auch:
https://www.bmluk.gv.at/themen/klima-und-umwelt/nuklearpolitik/aikk/mascherl.html
https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2025-09/cp250113de.pdf
https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=taxonomie&docid=304175&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=19349289#ctx1


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